Swiss Punk/Wave

Die Schlagzeilen der englischen Presse über Punk und die Sex Pistols hatten auch ein Echo in den CH-Medien.

Zudem bestand die grossartige Möglichkeit jeden Sonntag um 21 Uhr im CH-Radio DRS ‚Musik aus London‘ welche von François Mürner in seinem Heim-Studio in London produziert wurde, zu hören. Diese Sendung versorgte die ganze Schweiz und die angrenzenden Gebiete Deutschlands und Oesterreichs mit aktuellen Informationen und Musik aus UK.

Als Stimmungsbild dieser Zeit, ein Bericht von Bruno W (Fanzine SONDERNUMMER) für das rororo Taschenbuch ‚wir waren HELDEN für einen Tag‘, welcher 1983 erstmals veröffentlicht wurde:

London mit Gary Gilmore’s Augen

Anfangs 1977 wurde ich durch Presse, Radio und TV aufmerksam auf Leute, die sich Punk nannten und auch solche Musik machten.

In dieser Zeit lebte ich in der Nähe von Zürich. Es gab damals drei Plattenläden, die ich regelmässig aufsuchte. Auf der – meist erfolglosen – Suche nach irgendwelchen Punk-Singles kam ich an einem Schaufenster vorbei, wobei der Besuch des sich im Hinterhof befindlichen Plattenladens zur Nebensache wurde. In diesem kleinen Kunstwerk entdeckte ich ein ungewöhnlich aussehendes Heft, ‚No Fun‘ aus Zürich. So besorgte ich mir, hinter der von Klaudia Schifferle (KLEENEX/LiliPUT) gestalteten Auslage, eines der ersten deutschsprachigen Fanzine.

first Swiss-Fanzine 'No Fun' Nr.1 Oct.1977 Neben einem Bericht vom Clash Konzert 1977 in Zürich, ein zweiter von ’nem Sham 69 Gig im Vortex, London. Solche Artikel waren neben Plattenbesprechungen meistens die einzige Möglichkeit, überhaupt etwas von den Anfängen des Punk in London mitzukriegen. In eigentlich allen Fanzines waren Reise- und Konzertberichte von Punks zu finden, welche für ein paar Tage nach London reisten, um Gleichgesinnte zu treffen, Konzerte zu erleben und einen Stapel Platten nach Hause zu bringen. Die Konzertberichte waren sehr spontan und subjektiv. Sie unterschieden sich wesentlich von den erweiterten Presse-Infos der Plattenindustrie, welche in den Musikzeitschriften erschienen. Es wurde nur über Bands geschrieben, mit denen man sich identifizierte.

Diese Berichte waren positive Erlebnisse in einem eher tristen Leben – der täglichen Langeweile einer feindlichen Umwelt. Durch die Solidarität mit Bands und anderen Punks entstand jene Energie, welche nötig war, um mehr zu machen als nur zu konsumieren.

So fuhr auch ich im Sommer 1978 nach London. Eine der ersten Gruppen, die ich in den zwei Wochen sah, waren Metal Urbain aus Frankreich. Eine exzellente Gruppe, die einen eigenen Musikstil gefunden hatte. Leider wurde diese Band von den Punks nie richtig akzeptiert. Neben dem französischen Gesang dürfte wohl auch der damals noch seltene Gebrauch eines Synthesizers zur Ablehnung beigetragen haben. ‚Paris Maquis‘ Metal Urbain’s erste Single, war zugleich auch die erste von Rough Trade, einem Label das später noch ’ne Menge guter Platten veröffentlichte.

Am nächsten Abend dann im ‚marquee‘ zwei faszinierende Musiker aus New York: Suicide. Moderne Grossstadtmusik, ‚zur falschen Zeit am richtigen Ort‘!

Am Sonntagnachmittag, nach einer Woche und ein paar langweiligen Konzerten, rein in die Tube und raus zur Chalk Farm. Im Roundhouse spielen Siouxsie and the Banshees! Ein phantastisches Konzert in einem mit Punks überfüllten Saal.

Zwei Tage später – nach einem Abend mit Bunuel und Dali, bzw. ihrem andalusischen Hund – the Clash in der Music Machine. Ihr ‚white man in Hammersmith Palais‘ ist unter den ersten dreissig in den englischen Charts. Einige Monate später werde ich Teile des Konzertes im Film ‚rude boy‘ wieder sehen.

An einem der letzten Abende die Adverts im ‚marquee‘. Ihr Stück ‚looking through Gary Gilmore’s eyes‘ gehört wohl zu den zehn besten Punk-Singles.

Aus London zurück war für mich klar, dass ich was in Richtung neuer Musik machen wollte. So schrieb ich für ein Fanzine über den Siouxsie and the Banshees Song ‚mittageisen‘ und den Zusammenhang mit Dada und John Heartfield.
Nur über Konzerte zu schreiben hatte ich keine Lust, für mich waren die Zusammenhänge zwischen Musik, Gesellschaft und einzelnen Personen wichtiger.

Neben den Rock-Rebellen Sex Pistols, Clash, u.a. gab es Gruppen wie z.B. the Wire, Siouxsie and the Banshees und Cabaret Voltaire. Während die ersteren Rock-Musik in traditioneller Form machten, schaften es die andern ihre Musik der aktuellen Zeit anzupassen.

Im März 1979 dann Wire und Roxy Music in Zürich! Oder – eine der wichtigsten Bands der frühen 70er Jahre spielte im ‚Nachprogramm‘ einer der interessantesten Bands der späten 70er Jahre!

In dieser Zeit fanden vermehrt Konzerte mit Schweizer Bands statt. In jeder grösseren Stadt gab es Punks und Bands, die an den Wochenenden Konzerte veranstalteten oder welche in anderen Städten besuchten. Entsprechend verlagerten sich die Fanzine-Berichte immer mehr auf die lokale Szene.

So traf ich an einem Siouxsie and the Banshees-Konzert in Baden Punks aus Luzern, der Stadt in der ich meine ersten zwanzig Jahre verbrachte. Einige davon organisierten im Herbst 1979 Swiss Punk Now, vierzehn Bands an zwei Tagen.

Freitag, 2.Nov.1979Samstag, 3.Nov.1979
TechnicolorChaos (Vorarlberg)
Mistery ActionFreshcolor
SpermaGlueams
SozzLiars
Hexan 5IV Sex
Crazy
Kraft durch Freude
Sick
TNT

Der Anfang vom Ende einer bis dahin geeinten CH-Punkszene.

Photos vom 'Swiss Punk Now' 1979

Während all den Monaten lösten sich Bands und Fanzines auf – entstehen neue in anderer Form, mit anderem Inhalt. Kleinlabels brachten selbstproduzierte Platten raus, alles wurde komplexer. Fanzines beschränkten sich vermehrt auf Szenenberichte ihrer Region. Die Unterschiede vergrösserten sich, es entstanden Szenen die je nach Bands und Fanzines ihre eigenen Merkmale hatten.
In dieser Zeit unterstützte ich die Produktion der ersten unabhängigen Swiss-Punk LP (CRAZY aus Luzern), besuchte die Anfangskonzerte von Grauzone in und um Bern und schrieb für SONDERNUMMER, einem Fanzine aus derselben Umgebung. Juni 1980 nach ’ner halbstündigen Autofahrt von Zürich in einer ehemaligen Fabrik, das Sx-X Fest/ival – Musik, Filme, Videos, Performance. Töne u.a. von Hertz, DIN A Testbild, -Dt, Grauzone und der Plan. Höre erstmals ‚Eisbär‘, an dem ein Jahr später EMI eine Menge Geld verdienen wird. Die Welle strandete, hatte sich an den Klippen der Industrie geteilt und aufgelöst. Teile davon flossen oder fliessen in anderer Form zurück.

eine Auswahl von empfehlenswerten Swiss Punk & Wave Platten

Nasal Boys7"Hot Love1.Swiss Punk Single, Dec.77
Mother's Ruin7"Dany Hot Dog
Glueams7"Mentaleinzelne Mitglieder gründeten später Grauzone
TNT7"Züri brännt
CRAZYLP
EP
CD
crazy
12"
compilation (1980-1982)
1.Swiss Punk LP, July 80
Dieter Meier7"Cry for Fame1.Solo-Single der Yello Stimme
Yello7"
12"
I.T. Splash
Bostich
1.Yello-Single/Record
Hertz7"Willy Ritschard
Kleenex7"Hedi's Head; Nice1.Auflage bei Sunrise Records (CH), 2.Auflage bei Rough Trade UK
Blue China7"
EP
Visitors never come alone
Tomorrow never Knows
The VylliesEP
EP
2CD
The Vyllies
Velvet Tales
1983-1988 remastered
GRAUZONE7"
LP
2CD
Eisbär
Grauzone
1980-1982 remastered
mittageisenLP
12"
CD
2CD
album
automaten
compilation
1981-1986 remastered
verschiedeneCDSwiss Kult-Hits Vol.1mit Touch El Arab, The Young Gods, Grauzone, mittageisen, Stephan Eicher, Hertz, u.a.
verschiedeneCDSwiss Kult-Hits Vol.2mit Yello, Kleenex, Stephan Eicher, Liliput, Grauzone, The Vyllies, Blue China, u.a.

COVER EISBÄR

Spotify Playlist Swiss Wave (80s)!
Siehe dazu auch
> Ruth Metzlers verpasste Jugend von Thomas Haemmerli in der SonntagsZeitung vom 28. März 1999
> Ausgewählte Fotos aus der Zeit 1980 bis 1983