The Vyllies 1983-1988 fördeflüsterer(D), Mai 2014
Längst überfällige Wiederveröffentlichung! amazon (D), 4. Oktober 2013
Vyllies 1983-1988 Ox-Fanzine (D), Oktober/November 2013
The Vyllies INTRO (D), Oktober 2013
‚Die Musik der Achtziger lässt Melancholie als Lebensstil zu.‘ Orkus (D), Oktober 2013
Schattengeflüster Sakona Webzine (D), 9. August 2013
Bewegte Zeiten NZZ am Sonntag (CH), 4. August 2013
The Vyllies 1983-1988 Remastered Negative White (CH), Juli 2013
‚Wir verwandeln Trauer in Schönheit‘ Orkus (D), September 2010
The Vyllies – Sacred Games Schwarze-News.de (D), 1. Dezember 2009
THE VYLLIES EB Musikmagazin (D), Juli/August 1987
Hexengebräu Schweizer Familie (CH), 26. Februar 1986
Die wunderliche Klangwelt der Vyllies DER MUSIKMARKT (D), Nr.23 / Dezember 1985
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The Vyllies 1983-1988

Hauke Heesch, fördeflüsterer (D), Mai 2014

The Vyllies waren eine Schweizer Dark Wave Band, die in den achtziger Jahren aktiv war. Dieser Band hat dass mital-U Label nun ein Denkmal gesetzt und eine üppige Doppel-CD Compilation erschaffen. Am Titel kann man erkennen, dass dieses Trio nur von 1983 bis 1988 existiert hat.
Die Truppe hat aus Ilona Prism (Bass), Ursula Nun (Keyboard) und Manue Moan (Gesang) bestan­den und den Part des Singens haben sich alle drei dann doch geteilt. Kennengelernt haben sie sich an der Lausanner Universität und schnell beschlossen sie, es mit dem Studieren aufzugeben, um mit The Vyllies eine Karriere zu starten.
Es begann auch vielversprechend, denn die ersten Aufnahmen haben sie in einem Studio in Athen aufgenommen. Die erste EP, die man schlicht und ergreifend „The Vyllies“ benannte, bekam viel Zuspruch bei den New-Wave und Dark-Wave-Fans, und man erkor die drei Damen schon als Nachfolger von Siouxsie Sioux. Der Gesang ist vielleicht nicht so dicht am Grabgesang der bekannten Ikone, aber einen gesunden Drang zur Verrücktheit konnte man bei den drei Frauen aus dem Alpenland doch erkennen.
Da braucht man nur von dieser EP den Song „Madness“ anzuhören. Aber es gab auch bedrohliche düstere Songs wie „Rare“ und mit dem recht eingängigen „Whispers In The Shadow“ sogar einen veritablen kleinen Genre-Klassiker. Durch diesen Erfolg war es der Band möglich, noch eine weitere EP aufzunehmen, und 1985 erschien ihr Album-Debüt „Lilith“, welches auch noch eindeutig Dark Wave war, aber die Song klangen doch ein wenig freundlicher und spürbar professioneller, hatte weniger Ecken und Kanten.
Dennoch gab es viel bedrohliches Liedgut, und Songs wie „Bad Trip“ und „The Food Prayer“ schaffen den Spagat zu Malaria und eben Siouxsie Sioux und sind auch mit EBM verwandt.
1987 folgte das zweite und auch letzte Album „Sacred Games“ des Trios, und man muss zugeben, dass dieses Werk schon qualitativ abfiel. Es klang sehr nach achtzigerjahre Niedlich-?Pop, und auch der Sound war mehr naiver Synthie-Pop. Zugegeben, ab und dann blitzt das Können der drei nochmal auf, und man erkennt auch ihr eigentliches Metier.
Diese beiden Alben und die EPs finden sich auf dieser Compilation wieder, und anbei ist auch ein Booklet mit Photos vorhanden. Lohnenswert ist „1983 – 1988“ auf jeden Fall, alleine schon aus dem Grund, dass man damit alles von dieser doch recht vergessenen Band hat.

Längst überfällige Wiederveröffentlichung!

gawl, amazon (D), 4. Oktober 2013

The Vyllies waren eine dreiköpfige Frauen-Band aus der Schweizer Wave-(Gothic-?)Szene der 80er Jahre. Alle ihre Stücke fussten auf mehr oder minder komplexen Keyboard-Arrangements (zum Teil mit Hilfe von Tonbandschleifen „aufgebaut“), über die dann Gesang und Bassgitarre gelegt waren. Hierdurch entstand ein Klangbild, das ganz eindeutig in die Rubrik „melancholischer Wave der 80er“ gehört, aber dennoch etwas sehr Eigenständiges hat. Die Musik wirkt elektronisch, obwohl kein riesiger Synthesizer-Park zum Einsatz kam, sondern alles „nur“ mit Keyboards, wie sie damals typisch waren, eingespielt wurde.
Das Schweizer Label „mital-u“, das sich schon mit liebevollen Wiederveröffentlichungen anderer Bands des musikalischen Untergrunds aus den schweizerischen 80ern einen Namen gemacht hat (siehe z.B. GRAUZONE 1980-1982 REMASTERED und mittageisen 1981-1986 remastered), hat nun endlich dafür gesorgt, dass die Musik der Vyllies wieder erhältlich ist, und zwar als von der Band autorisiertes Remastering. Hier sind in chronologischer Reihenfolge auf 2 CDs alle (Studio-)Musikstücke enthalten, die die Vyllies damals veröffentlichten, beginnend mit der super-obskuren ersten EP von 1983, die damals nur in Griechenland(!) erschien, bis hin zu ihrer 1987er LP „Sacred Games“. Übrigens gab es nur die „Sacred Games“ (mit einigen Bonus-Stücken der LP „Lilith“) überhaupt jemals zuvor auf CD, also sind die meisten der Stücke nun hiermit erstmalig auf CD erhältlich. Wer immer noch zweifelt, kann die Band auf Youtube suchen, das Label hat anlässlich dieser Wiederveröffentlichung einige Videos aus alten Aufnahmen von Auftritten im Schweizer Fernsehen zusammengeschnitten.
Fazit: Melodische, hypnotische Arrangements aus Frauengesang, Keyboard-Sounds (inklusive Keyboard-Drums) und Bassgitarre, zwar nicht unbedingt auf Tanzbarkeit hingedrechselt, aber sehr oft mit echtem Ohrwurm-Potential. Wer meint, dass ihn so etwas anspricht, sollte unbedingt zugreifen, bevor auch hierfür wieder exorbitante Sammlerpreise verlangt werden…

Vyllies 1983-1988

Benedikt Gfeller, Ox-Fanzine (D), Oktober/November 2013

Als vor 15 Jahren ein lokaler Radiosender sein Vinylarchiv verschachert hat, wanderten so einige Schweizer Punk und Wave-Platten in mein Regal – unter anderem auch die komplette Diskografie der VYLLIES.
Bis auf die superrare erste EP natürlich – diese Lücke hat vor zwei Jahren jedoch Geheimnis Records mit einer Neuauflage schliessen können. Auf mital-U ist nun die gesamte Diskografie des Trios aus Lausanne als Doppel-CD erschienen.
Manue Moan, Ursula Nun und Ilona Prism trafen sich Anfang Achtziger Jahre während des Studiums und begannen, „begeistert und besessen vom Zeitgeist“ eine eigene Musik zu erschaffen. So entstand die erste, unbetielte EP 1984 während der sechs Stunden Studiopause einer befreundeten Band mit Mini-Equipment, der darauf einsetzende Erfolg erlaubte ausgefeiltere Produktionen.
Mögen THE VYLLIES auf dem letzten Album „Sacred Games“ (1987) richtiggehend poppig klingen, so hallt die Melancholie der früheren, gespenstischen Dark Wave-Perlen „Velvet Tales“ und „Lilith“ (EP & LP, 1985) trotzdem nach.
Die Doppel-CD ist – wie vom Label gewohnt – schön und schlicht aufgemacht und enthält alle Texte, leider jedoch keine History. Für mehr Infos empfiehlt sich die mital-U Homepage und das Interview mit Manue Moan auf sakona.de, aus welchem auch oben zitiert worden ist.

The Vyllies

Jens Rübsamen, INTRO (D), Oktober 2013

Die drei düsteren und toupierten Ladys scheinen in den 80ern einiges, aber sicher nicht der Inbegriff einer Schweizer Band gewesen zu sein. Dennoch brachten sie es in sechs Jahren Bestehen auf diverse Veröffentlichungen, die nun remastered vorliegen.
INTRO: Wart ihr Mitte der Achtziger in der Schweiz eigentlich ein singuläres Phänomen, oder gab es durchaus eine Szene in puncto Dark/New Wave bzw. Electro?
Manue Moan: Klar waren wir nicht die Einzigen! In der Schweiz gab es viele, die heute als Band der 80er gelten, von Yello bis Grauzone. Aber: Damals kategorisierte man sich nicht derart, man erlebte distanzlos die Gegenwart. Jede Band folgte ihrem eigenen kreativen Schub. Es gab zwar den Begriff New Wave, die Vyllies selbst sahen sich jedoch eher im Dunkelbereich zwischen experimentellem und düsterem Pop. Im Grunde genommen waren wir Dichterinnen des Zeitgeistes, die ihre Geschichten in Wort, Musik und Performance umsetzten.
INTRO: Welche Frage ich übrigens nicht sparen kann: Was bedeutet bloss »Vyllies«?
Manue: Der Name der Band ist eine Ableitung von »Víly«, weiblichen Naturgeistern aus der slawischen Mythologie. In den slawischen Volkserzählungen handelt es sich dabei um junge Frauen, die von ihren Liebhabern betrogen wurden und vor ihrer Hochzeit gestorben sind. Als Untote verlassen sie nachts ihre Gräber, um an Wegkreuzungen zu tanzen. Sollten sie dabei eines Lebenden habhaft werden, so tanzen sie so lange und wild mit ihm, bis dieser tot umfällt.
INTRO: Warum ging es damals eigentlich zu Ende, wie steht es im Zuge der ReIssues mit einem Revival?
Manue: Wir haben uns auseinander gewohnt: Ilona zog nach Genf, Ursula zurück nach Lausanne, ich selbst blieb in Zürich. Durch die geografische Trennung ergab sich allmählich auch die künstlerische Trennung 1988. Ursula Nun veröffentlichte später noch zwei CDs unter dem Namen Lussia.
INTRO: Habt ihr untereinander noch Kontakt? Was machst du, was machen die anderen beiden heute?
Manue: Ja, wir standen immer wieder in Kontakt. Ein physisches Zusammentreffen aller drei gab es aber erst, um die Doppel-CD zu feiern. Zurzeit steht ein Comeback auf der Bühne nicht zur Diskussion. Wir überlegen jedoch, ob wir altes Material überarbeiten wollen. Wir waren in den Jahren 1982 bis 1985 extrem produktiv und haben einiges nicht verwertet. Dies ist zu diesem Zeitpunkt aber mehr Fiktion als Realität. Was die anderen heute machen, die Antwort sei ihnen überlassen … Ich selbst bin Stimmbildnerin und habe später noch Neuropsychologie studiert. Ich begleite Sänger und Schauspieler in ihrer Klang- und Interpretationsarbeit.
INTRO: Wie lange hattest du das Material nicht mehr gehört, bevor es an dieses Projekt hier ging?
Manue: Ehrlich? Na ja, ich hatte es bisher nie im Ganzen gehört. So bedeutete das Remastering sogar für mich eine Wiederentdeckung. Der chronologische Ablauf gibt die musikalische Weiterentwicklung in Entsprechung zu den eingesetzten Instrumenten wieder. Persönlich habe ich grosse Freude an den griechischen Tracks.
INTRO: Was denkst du heute über euren Look, der einem im Artwork ja sehr zentral entgegenlacht (na ja, »lacht« passt natürlich nicht)?
Manue: Ist okay, Sinn für Humor bleibt unerlässlich. Unser Look entsprach nicht nur der Zeit, sondern war ein Mittel zur visuellen Umsetzung der atmosphärischen Songs. Die Vyllies waren Geister, wir selbst trugen symbolische Namen – Nun, Prism und Moan. Alles diente dem Entstehen-Lassen der Traumwelt, in die wir (und hoffentlich die Zuschauer) eintauchten. Die meisten Bühnenkleider entwarfen wir übrigens selbst.
INTRO: Wenn du an die Zeit der Vyllies zurückdenkst, was vermisst du am meisten? Und bei was bist du froh, dass es durch ist?
Manue: Das ist ein Paradoxon: Die Zeit zu dritt, diese psychische Nähe – das war äusserst intensiv und einmalig. Aber wir waren keine Drillinge! Wir ergänzten uns sehr und trafen uns in der Essenz. Irgendwann kam für jede der Wunsch, den Weg wieder allein zu gehen.

‚Die Musik der Achtziger lässt Melancholie als Lebensstil zu.‘

Ecki Stieg, Orkus (D), Oktober 2013

Selbst rückblickend ist die Dark Wave-Szene der Schweiz ziemlich überschaubar und nur von einigen wenigen markanten Namen geprägt. Umso erstaunlicher die Gründung der Vyllies bereits Anfang der Achtziger: Ein Damentrio, das binnen kurzer Zeit eine ebenso rasante wie faszinierende Entwicklung von einer dunklen, minimalistischen Synthie-Band bis zur stilvollen, schwarz angehauchten Pop-Gruppe durchlebte. Ihre komplette Historie ist jetzt auf der liebevoll gestalteten Kollektion 1983-1988 zu finden, die das Gesamtwerk enthält. Obwohl sich The Vyllies schon 1988 auflösten, ist ihre Musik für alte Fans, aber auch für nachwachsende Generationen.
Orkus: Was war damals die Initialzündung, die Inspiration, das kulturelle Umfeld?
Manue Moan: In der Schweiz erhielten die Frauen erst in den Siebzigern das Stimmrecht! Zu der Zeit wurde von den Töchtern erwartet, dass sie Fremdsprachen studieren und brav heiraten. Am Horizont jedoch tobte die Punk-Bewegung. Sie befreite Kunst und Musik in verrückter Weise. Es ging nicht um Virtuosität, sondern um Aussage und Kreativität. Jeder konnte zu einem Instrument greifen und sich ausdrücken. Vor diesem Hintergrund lernte ich 1980 Ursula Nun an der Uni Lausanne kennen – etwas später stiess Ilona hinzu. Wir wollten unser eigenes Ding schaffen. Anfangs spielte ich Schlagzeug, merkte aber bald, dass ich lieber texte und singe. So entschieden wir uns für die aussergewöhnliche Formel mit zwei Leadsängerinnen und überliessen die Beats einer Maschine. Ursula Nun schrieb sämtliche Synthlines.
O: Ebenfalls ungewöhnlich: eine reine Frauenband. Bundesdeutsche Pendants waren damals höchstens Xmal Deutschland oder Mania D./Malaria!. Die markanteste Schweizer Frauenband – etwas vor The Vyllies – waren Kleenex. Siehst du da Parallelen?
MM: Von Kleenex kenne ich nur den Namen, die waren bei uns in der französischen Schweiz weniger bekannt. Als wir 1985 nach Zürich zogen, gab es sie bereits nicht mehr. Aber uns kümmerte grundsätzlich nicht, ob spannende Kunst von Männern oder Frauen stammte. Das war nicht unsere Art, zu kategorisieren. Zudem hatten wir nicht bewusst entschieden, eine Frauenband zu sein. Einzig die Musik war uns wichtig. Wir ergänzten uns sehr, hatten eine Fülle an Ideen und wollten sie umsetzen. Tatsächlich mochten gewisse Schweizer Journalisten nicht glauben, dass Frauen eigene Songs schreiben, geschweige denn einen Computer bedienen können. Heute kann man darüber nur lachen.
O: Das Schöne an 1983-1988 ist die streng chronologische Folge, die nicht nur die beeindruckende Entwicklung der Band, sondern auch ein Stück die Entwicklung von Stil und Instrumentarium der damaligen Zeit dokumentiert. Ich könnte mir vorstellen, dass solch eine Veröffentlichung für denjenigen, der diese Musik gemacht hat, dem Blättern in alten Tagebüchern gleichkommt. Teilst du diese Empfindung und Sichtweise?
MM: Ja, klar. Unsere Musik entwickelte sich parallel zu den technischen Neuerungen… vom winzigen Casio bis zu den vom Computer gesteuerten Kompositionen. Für die ersten Aufnahmen in Athen hatten wir zum Beispiel nur sechs Stunden Zeit zur Verfügung und einen kleinen Drei-Oktaven-Casio. Die Stücke wirken daher sehr direkt und
roh, ein wahrhaftiges Experiment. Wenn du Tagebücher erwähnst, denke ich dabei vor allem an die sehr persönlichen Texte, deren zum Teil autobiographischer Inhalt sämtliche Wirrungen widerspiegelt.

O: Die Entwicklung der Band innerhalb der wenigen Jahre ihrer Existenz war sehr rasant. Ist das auch durch die vielfältigen Erfahrungen bedingt, die man gerade in diesem Alter macht?
MM: Es war eine intensive, energetisch geladene Zeit. Wir befanden uns jeweils an drei bis vier Abenden pro Woche im geschützten übungsraum. Von aussen gab es Unmengen an interessanten Inputs – seitens der unabhängigen Label, aber auch aus dem Mainstream, man denke an The Cure oder Prince. Das alles hörten wir uns an, gleichsam verfolgten wir unsere eigenen inneren Pläne. Wir drei waren sehr verschieden, trafen uns aber in der Essenz. Die Lust am Experimentieren war mächtig, und wir gaben einander alle Freiheiten. Auf diese Weise entstanden starke, spontane äusserungen: Ilona Prisms Schreien in Madness, aber auch der Freudenschrei aus Ahia – der rutschte mir einfach raus… Oft diente eine Synthline von Ursula Nun als Hauptquelle der Phantasien. Wir zogen viele Fäden und spannen fleissig. Das allein war Ansporn zum Machen und Weitermachen. Unser Alter war uns nicht bewusst.
O: Jede „Phase“ der Band hat ihren speziellen Reiz, von den einfachen, noch etwas naiv anmutenden ersten Schritten bis hin zu den facettenreichen Liedern der Sacred Games. Welche Phase war für dich am reizvollsten und wichtigsten?
MM: Jeder einzelne Song hat seinen eigenen Geist und seine besondere Geschichte. Je nach Verfassung fühlt man sich mehr zum einen oder anderen hingezogen. Mein persönlicher Liebling ist wohl Lilith. Für diese LP hatten wir knapp zwei Wochen Aufnahmezeit, mit Voco Fauxpas als Tonproduzent… Wir verbrachten jeweils zwölf bis 14 Stunden am Tag im Studio, und die Stücke wurden im Schlaf noch weitergeträumt. Ein hypnotischer Zustand. Was dabei herauskam, übertraf unsere Erwartungen. Mit Songs wie Bad Trip oder Seventh Heaven rannten wir die Türen zum Unterbewussten ein.
O: Was war das prägendste Erlebnis? Ihr hattet ja auch recht grossen internationalen Kontakt und Austausch?
MM: Vieles war prägend. Die intensive Zeit im Studio. Oder die Freundschaft mit damaligen Künstlern. Sicher jedoch die Europatour 1987, die von Berlin-West (!) bis Valencia reichte und uns weitere szenische Experimente erlaubte. Wir traten einerseits an kleinen, intimen Orten auf, wo wir noch Blickkontakt zu den Fans hatten, oder andererseits auf grösseren Bühnen mit Tausenden Zuschauern. Es geschah Unvorhergesehenes, mal sprang ein Fan zu uns und spuckte Feuer, mal regnete es Rosen…
O: Noch immer werden Titel wie Now We Fall auf den Tanzböden eingesetzt und gefeiert von jungen Leuten, die deine Kinder sein könnten. Mit welchen Gefühlen siehst du dies? Stolz und Bestätigung?
MM: Bis vor Kurzem wusste ich nicht mal, dass die Vyllies im Internet herumgeistern. Was wohl der Grund für dieses Phänomen ist, kann ich nur erahnen. Wir nahmen unsere Musik und unsere Performances ernst, erzählten unsere Geheimnisse, unsere persönlichen Geschichten. So ist es schön, zu wissen, dass andere sich darin wiederfinden. Es freut mich und berührt mich.
O: Warum, denkst du, erreicht gerade diese Art von Musik auch heute ein sehr junges Publikum?
MM: Wahrscheinlich ist noch heute die Intensität jener Zeit spürbar, und vielleicht liegt eine ähnliche Bedrohung in der Luft („Big Brother is watching you“ und so weiter). Vielleicht fasziniert die Kleidung… nein, natürlich geht es hier um mehr als ein Outfit… In einer Welt, die ständig Leistung und positives Denken abverlangt, lässt die Musik der Achtziger Jahre Melancholie als Lebensstil zu.
O: The Vyllies waren eine sehr ambitionierte Band. Warum war 1988 bereits Schluss?
MM: Wir wohnten uns auseinander. Aus privaten Gründen zogen Ursula und Ilona zurück nach Lausanne respektive Genf. Ich blieb in Zürich… Der enge Kontakt war somit rein geographisch gebrochen. Jede ging ihren Weg. Wobei Ursula Nun später unter dem Namen Lussia noch zwei CDs einspielte.
O: Was machen du und die anderen in der Band heute?
MM: Wir leben, arbeiten, haben Familie und behalten unseren Sinn für Humor. Die Vyllies jedoch bleiben Geisterwesen im nächtlichen Schatten unserer Seelen.

Schattengeflüster

Axel Meßinger, Sakona Webzine (D), 9. August 2013

Wir befinden uns Anfang der 1980er Jahre: Die Zeiten waren angesichts des Kalten Kriegs angespannt und die Angst vor einem Nuklearkrieg schwebte hintergründig in der Luft. Eine Zeit, wo Computer langsam den Siegeszug antreten, gleichzeitig dystopische Science Fiction Filme wie „1984“ auf der Leinwand zu sehen waren. Aus der Punk-Bewegung entstanden die ersten Post-Punk und Industrial Bands. In dieser sehr bewegten Zeit schlossen sich drei junge Frauen aus dem französischsprachigen Teil der Schweiz zusammen, um mit Gedichten und kleinen Geschichten, inspiriert von Stummfilmen und dem Dadaismus, eine eigene musikalische Schattenwelt zu erschaffen. The Vyllies sind noch heute auf jeder guten 80er Jahre Darkwave-Party zu hören und so überrascht es nicht, dass das Schweizer Indie-Label mital-U im Juli 2013 eine Compilation mit allen Songs der Vyllies in restaurierter Fassung veröffentlichte. Es folgt ein Interview mit der ehemaligen Sängerin der Band: Manue Moan.
Hallo Manue. Herzlich willkommen bei uns im Sakona Webzine und zu aller erst ein grosses Dankeschön für Deine Zeit. Wie geht es dir und magst du dich mit eigenen Worten vorstellen?
Mir geht es gut, danke. Ich geniesse den Sommer 2013. Mit Ursula Nun und Ilona Prism gründete ich in den 80er Jahren – unter dem Pseudonym Manue Moan – The Vyllies. Ich war Texterin, Songline-Composer und Sängerin der Band. Ilona übrigens auch, und gelegentlich spielte sie Bass. Ursula textete und komponierte sämtliche Synth-Lines.
The Vyllies waren zwischen 1983 und 1988 aktiv. Im Folgenden mag ich ein wenig die Bandgeschichte thematisieren. Kennengelernt habt ihr euch an der Universität Lausanne. Was waren die genauen Gründe euer Studium an den Nagel zu hängen und euch der Musik zu widmen?
Das Studium bedeutete Anpassung. Studium und Kunst – diese Art von Kunst – waren nicht kompatibel. Die Entscheidung fiel uns leicht.
Und wie seid ihr zur New Wave Musik gekommen?
Zu der Zeit hatten wir unsere Musik nicht kategorisiert, wir empfanden sie nicht als „New Wave“. Wir wollten vordergründig unsere eigenen Songs erschaffen, mit den Möglichkeiten, die uns zur Verfügung standen. Durch die Nutzung immer neuer Techniken – programmierbare Rhythmusmaschinen und Synthie-Sounds, sowie Computer – veränderte sich auch der Charakter des Sounds im Laufe der Vyllies Geschichte. Das ist auf der Compilation dank chronologischem Verlauf gut hörbar.
Der Name „The Vyllies“ geht auf die slawische Mythologie zurück. Dort sind die Víly Geistergestalten. Junge Frauen, die vor ihrer Hochzeit gestorben sind und nachts aus ihren Gräbern steigen und an Wegkreuzungen tanzen. In der Tat hatte die Musik auch etwas „geisterhaftes“ an sich. Eure Konzerte habt ihr auch durchaus mit Gelächter eröffnet, wie man sie sich von solchen Geistern vorstellt. Es war also nicht einfach nur ein Name, der irgendwie „cool“ klang, sondern da steckte auch ein ganzes Konzept dahinter, richtig?
Der Name gefiel uns sowohl klanglich als auch inhaltlich. Junge Frauen, die nachts als Geister zurückkommen, um ihre untreuen Liebhaber zum Tanzen zu bringen. das fanden wir faszinierend. In diese Geschichte, die wir ansatzweise im Video „Whispers In The Shadow“ umsetzten, lässt sich vieles hinein projizieren: Trauer um die verlorene Liebe, Angst und Wahn, eine ganze Palette an Emotionen und Stimmungen.
Eure ersten Stücke habt ihr dann in Athen aufgenommen. Noch im Jahr 1983 erschien dann die erste selbstbetitelte EP mit 5 Stücken über das griechische Label Creep Records. Schon mit dem Song „Whispers in the Shadow“ und „Babylon“ wurde klar, das eure Musik nicht in das typische Wave-Muster passte. Kannst du dich noch an das Songwriting erinnern?
Die Songs entstanden aus Moment- und Stimmungsaufnahmen, sehr spontan, im Lausanner übungsraum. Wir verdanken es Yell-O-Yell, einer griechischen Kultband, die uns ihr Studio in den Pausenzeiten überliessen, dass wir diese EP einspielen konnten. Für die Aufnahmen in Athen hatten wir bloss 6 Stunden zur Verfügung, sowie ein 3-Oktaven Casio, einen Bass, eine Roland Rhythmus Maschine und unsere Stimmen. Fill Scars von Yell-O-Yell spielte die Gitarren-Einlagen zu „Rare“ und „Purple Gorilla“.
Wo lagen eure Inspirationsquellen?
Die Inspiration lag einfach in der Luft. Wir ergänzten uns sehr. Und wir hörten uns quer durch die Musiklandschaft, Experimentelles wie auch Mainstream, von Einstürzenden Neubauten bis Prince. Sicher hatte uns 1982 ein Konzert in London durchgerüttelt, es waren die Birthday Party mit Nick Cave als Sänger. Lass mich es so ausdrücken: Wir waren vom Zeitgeist „be-geistert“ und besessen.
Vyllies3Schon 1985 gab es die ersten Erfolge. Von der zweiten EP „Velvet Tales“ wurde der Song „Ahia“ sehr erfolgreich und in den Radiostationen gespielt. Dazu wurde ein Videoclip gedreht und ihr hattet sogar einen Auftritt beim renommierten Jazzfestival in Montreux. Zudem wurde in dieser Zeit auch die erste LP „Lilith“ aufgenommen. Habt Ihr mit dem Erfolg in dieser Form gerechnet oder kam es eher überraschend?
Wer rechnet, macht nicht diese Art von Sound. Wir haben unsere Gedichte musikalisch umgesetzt, wir hatten Lust aufzutreten. Ja, wir haben getan, was wir für wichtig hielten. Es war ehrlich und authentisch. Dafür kriegten wir Anerkennung. Wir waren keine Musikerinnen im virtuosen Sinn, eher Performerinnen unserer Träume und Spinnerinnen unserer Gedanken.
1987 erschien dann die zweite LP „Sacred Games“, welche nochmal um einiges erfolgreicher wurde. Was wohl daran lag, dass auf dem Album melodischere Stücke zu hören waren, die auf ein breiteres Publikum abzielten. War dies eine bewusste Entscheidung oder kam diese musikalische Entwicklung aus dem Bauch heraus?
Wie gesagt, die Musik entwickelte sich parallel zu den technischen Neuerungen der Zeit. Auf „Sacred Games“ haben wir mit Mehrstimmigkeit aber auch viel mit Computer gearbeitet. Eine revolutionäre Maschine. Dass wir auf der Bühne nicht alles „live“ spielten, wurde uns von bestimmten Medienleuten vorgeworfen. Darüber kann man heute nur lachen!
Eure damaligen Videoclips, wie „Whispers in the Shadow“, waren sehr fantasiehaft inszeniert. Welchen Anteil hattet ihr bei der Ausarbeitung der Videos?
Es war eine intensive Zusammenarbeit mit Urs Egger, dem Regisseur. Wir inspirierten uns gegenseitig und Urs verstand uns auf Anhieb. Die aussichtslose Liebesgeschichte aus Whispers sollte so umgesetzt werden, dass sich die singende Hauptfigur zu den Nachtgeistern Vyllies gesellt.
Nach der Europa-Tour zu „Sacred Games“ trennte sich die Gruppe im Jahr 1988. Magst du etwas über die Gründe erzählen?
Kein Streit, kein Eklat. Wir wohnten uns auseinander (Genf, Lausanne und Zürich) und so ging auch die kreative Intensität verloren. Unsere Zeit war einfach um.
Für mich hat sich die Musik der Vyllies, wie schon erwähnt, sehr von der typischen Wave-Musik der 80er unterschieden. Ihr habt gerade in den Anfangsjahren sehr viel Wert auf Atmosphäre gelegt und euch durch den recht „geisterhaften“ Gesang sehr abgehoben – euch eine eigene kleine Nische gesucht. Wie siehst du heute, nach 25 Jahren, eure damalige Musik?
Ehrlich gesagt habe ich sie lange nicht mehr gehört. Und jetzt dank Remastering neu entdeckt. Mich freuen einzelne Stücke sehr, vor allem die Frische der ersten EP. Mein Liebling bleibt jedoch „Lilith“. Wir verbrachten zum Teil zwölf Stunden am Stück im Studio (mit Voco Fauxpas als Tonproduzenten). Die Songs wurden sozusagen in Trancezuständen aufgenommen und verfeinert. Eine schöne Erinnerung.
Gibt es etwas, was du heute musikalisch anders machen würdest? Wenn ja, was wäre das?
Ja, klar, ich hätte Gesangstunden nehmen sollen, ha ha! Aber hätten wir uns dann das Schreien und Seufzen und Flüstern erlaubt? Nein, ehrlich, ich würde nichts ändern. Warum auch? So fühlte ich damals, das stimmte einfach. Ich bereue nichts.
Wie würdest du jemanden, der eure damaligen Stücke nicht kennt, die Musik mit eigenen Worten beschreiben?
Die Musik in Worten zu beschreiben, überlasse ich eigentlich lieber anderen. Ich denke, die Stücke waren reichhaltig und verschieden, einerseits hypnotisch, andererseits verträumt, und so weiter. Die unverkennbare Homogenität verdankte das Werk den Tastenarrangements von Ursula Nun.
Als ihr damals aktiv wart, gab es die Art von Gothic-Szene, wie man sie seit den 90ern kennt, in dieser Form noch nicht. Kannst du deine Erinnerungen an die damalige Wave-Szene in Worte fassen?
In den 80er Jahren herrschte eine eher unheimliche Stimmung: Reagan warnte vor der „Dunklen Macht“ UDSSR. Filme wie 1984, Blade Runner, Apocalypse Now waren prägend. Die Hippies erlahmten in ihrem Haschdunst. Ihr Motto „Peace and Love“ schien irgendwie unmöglich. Die Stimmung war Niedergang, AIDS, Ende des Jahrtausends, uund so weiter. Eine intensive, inspirierende Epoche! Die nihilistische Bewegung Punk erlaubte Direktheit, Aggression und Hässlichsein. Und eröffnete dadurch neue Freiheiten: Jeder konnte zum Mikrofon greifen, sich ausdrücken.
Bist du heute noch in dieser Szene?
Ich war nie eine Szenegängerin.
Seit ich 1998 die „Sacred Games“ auf einem Flohmarkt gekauft habe, kam mir beim hören der Musik immer mal wieder die Frage, was ihr heute eigentlich macht? Ist noch jemand von der Band musikalisch aktiv oder habt ihr euch davon komplett zurückgezogen?
Ursula Nun hat noch zwei weitere CDs unter dem Namen „Lussia“ veröffentlicht. Sie mochte aber nicht mehr auftreten. Was die anderen heute machen, müsste man sie persönlich fragen. Ich selber habe eine Weiterbildung in Sachen Stimmphysiologie absolviert und unterrichte Schauspieler sowie Sänger in Sachen Stimme und Interpretation. Eine kreative Arbeit. Die Bühne fehlt mir nicht. Klar, sie hat mich damals von meiner Schüchternheit geheilt. Heute bevorzuge ich den direkten Austausch mit Freunden.
Zum Schluss auch an Dich meine liebste Abschlussfrage: Was waren die schrägsten Situationen, die dir in deinen Musikerleben passiert sind?
Man kann sich das heute zum Glück nicht mehr vorstellen, aber zu der Zeit gab es in der Schweiz kaum weibliche Singer-Songwriter. Im Vorfeld unseres ersten Konzertes in der Heimatstadt Lausanne trauten uns männliche Musikerkollegen keinen Auftritt mit Eigenkompositionen zu. Aus Protest kamen wir mit buschigen Vollbärten im Gesicht auf die Bühne. Als wir sie nach dem ersten Song ablegten, jubelte das Publikum. Tja, wir waren „bloss“ Frauen, aber unsere Songs kamen an.
Vielen Dank für das Interview, Manue.
Ich danke auch. Mögen die Vyllies noch lange im Schatten flüstern.

Bewegte Zeiten

Manfred Papst, NZZ am Sonntag (CH), 4. August 2013

Auch in der Schweizer Musikszene kam um 1980 einiges in Bewegung. Post-Punk und Dark Wave waren angesagt. Die kurzlebige Berner Band GRAUZONE wirkte mit «Eisbär» stilbildend, noch ehe Stephan Eicher zu ihr stiess. Etwas länger, nämlich von 1981 bis 1986, bestand die Formation mittageisen, deren Name auf eine Fotomontage von John Heartfield zurückgeht. Sowohl von GRAUZONE als auch von mittageisen hat das Luzerner Label mital-U in den letzten Jahren je eine Doppel-CD herausgebracht.
In der gleichen Reihe sind nun die 1983 bis 1988 entstandenen Aufnahmen des Trios The Vyllies aus der Romandie erschienen. Damals schmissen drei junge Frauen in Lausanne ihr Studium hin und nahmen in Athen ihre erste EP auf. Sie enthielt unter anderem den Song «Whispers in the Shadow». Ursula Nun, Man`u Moan und Ilona
Prism machten mit ihren Klangexperimenten und exzentrischen Auftritten von sich reden. The Vyllies kamen bei Disctrade unter Vertrag. Das Album
«Lilith» (1985) wurde ihr grösster Erfolg. Danach schien die Gruppe stärker in Richtung Mainstream zu gehen, wie «Sacred Games» (1987) zeigte, löste sich aber wenig später auf. In ihren frühen Stücken bleibt sie – jenseits aller Perfektion – witzig, unverbraucht, schräg – und passt damit gut zu GRAUZONE.

The Vyllies 1983-1988 Remastered

Richard Buser, Negative White (CH), Juli 2013

The Vyllies mischten die Schweizer Musikszene in den 80er-Jahren tüchtig auf: Ihr eigenständiger Mix aus verträumtem Gothic und minimalistischem Cold Wave kam gut an und wurde auch von den Radiostationen gerne gespielt. Dank der Initiative des Luzerner Labels mital-U liegt nun das Gesamtwerk dieser Ausnahmeband in einer Remastered-Edition vor. Die Doppel-CD kommt im gediegenen Digipak mit reich bebildertem Booklet daher.
Musikalisch und ästhetisch anspruchsvoll, schufen die drei Westschweizerinnen Manue Moan (Gesang und Perkussion), Ilona Prism (Gesang und E-Bass) und Ursula Nun (Keyboards) in den gut fünf Jahren ihres Zusammenwirkens ein beeindruckendes Oeuvre. Stücke wie ‚Whispers in the shadow‘ oder ‚Seventh Heaven‘ jagten nicht nur dem Schreibenden in seiner Jugend wohlige Schauer über den Rücken.
Neben zahlreichen Konzertauftritten, auch zusammen mit der englischen Musik-Poetin Anne Clark, veröffentlichten The Vyllies von 1983 bis 1988 je zwei Singles, EPs und LPs. All diese Tonträger sind nun vollständig auf der Doppel-CD in chronologischer Reihenfolge greifbar. Ein besonderer Segen ist die Wiederveröffentlichung der ersten, raren EP The Vyllies, die 1984 in Athen erschien und im Studio der griechischen Kult-Band Yell-O-Yell entstanden war. Hier sind die minimalistischen Anfänge der Band gut zu hören; die Experimentierfreude der Musikerinnen schwingt bei jedem Ton mit.
Auch die folgende EP ‚Velvet Tales‘ atmet die kreative Aufbruchstimmung der frühen 80er Jahre. Mit dem Ohrwurm ‚Ahia‘ verweist diese Platte auf die Hit-Qualitäten der Band wie sie auf den beiden LPs verstärkt zum Zug kommen sollten: 1985 der LP ‚Lilith‘ war es ‚Whispers in the Shadow‘: In einer Ur-Version bereits auf dem Debüt, erschien es auf ‚Lilith‘ neu und aufwendiger instrumentiert. Es ist heute wohl das bekannteste Stück der Band. Ebenso eingängig ist das wunderschöne ‚Now We Fall‘ vom letzten Vyllies-Album ‚Sacred Games‘ aus dem Jahr 1987. Zum Vyllies-Repertoire gehören auch tanzbare Nummern wie das pulsierende ‚The Sky Is Full Of Stitches‘ und das treibende ‚The Amazon Archer‘.
Im Booklet sind sämtliche Songtexte abgedruckt. Ein lohnender Zusatz, denn gerade die Texte auf Lilith verbreiten eine mystische, mitunter unheimliche Stimmung:

„I shouldn’t play with spiders, playing with fire is much easier“

 

Die Musik von The Vyllies lässt träumen von geistverwehten Nächten voller Elfen und eben Vyllies, weiblichen Naturgeistern aus der slawischen Mythologie. Zusammen mit dem Schweizer Regisseur Urs Egger schufen die Vyllies einen Videoclip zu ‚Whispers in the Shadow‘ welcher die Musik visuell hervorragend umsetzt.
Und ja, der Vyllies-Zauber wirkt auch nach drei Jahrzehnten ungebrochen. Dank dieser wertvollen Wiederveröffentlichung ist es wieder leichter, sich von ihm bezirzen zu lassen.

‚Wir verwandeln Trauer in Schönheit‘

Richard Buser, Orkus (D), September 2010

The Vyllies (1981 bis 1988) zählen zu den schillerndsten Formationen der wavig bewegten Achtziger in der Schweiz. Ihre Kultsongs werden immer wieder an Partys gespielt. Zu Gast bei Sängerin Manue Moan, die hier zum ersten Mal seit zwei Jahrzehnten über die Band spricht.
Wie kamen Anfang der Achtziger drei junge Studentinnen der Uni Lausanne dazu, eine Band zu gründen? „Punk hat uns befreit, befreit von den mit Synthiefirlefanz überproduzierten Sound à la Genesis“, erinnert sich Manue. „Rhythmusmaschine an und Gedicht aufsagen, etwas Synthie dazu. Und schon hattest du dein Stück. Du musstest einfach frech genug sein und daran glauben, dass du etwas zu sagen hast.“ Ihre Debut-EP nahmen die Westschweizerinnen in Athen im Studio der griechischen Avantgarde-Gruppe Yell-o-Yell auf. Danach gaben sie Konzerte. Die Auftrittsorte der Vyllies lesen sich wie eine Landkarte der autonomen Szene in der Schweiz: In Zürich gastierten sie in der Roten Fabrik, in Fribourg im Fri-Son und in Lausanne im Centre Autonome. The Vylllies verstanden ihr Schaffen als Performance und waren angeregt durch Stummfilme und den Dadaismus sowie durch Industrial-Acts wie Einstürzende Neubauten oder Cabaret Voltaire.
Manue Moan und Ilona Prism teilten sich den Gesang, während Ursula Nun für die Synthesizer verantwortlich war. Die Texte – zentraler Bestandteil der Kunst von The Vyllies – steuerten alle drei Frauen bei. Schliesslich fragte Anne Clark sie 1985 als Support für ihre Tour an! Manue ist nach der gemeinsamen Konzertreise noch heute begeistert von der britischen Ausnahmekünstlerin und fühlt sich ihr seelenverwandt: „Ihr geht es auch um Gedichte. Anne Clark ist eine vertonte Dichterin. Wir waren da ähnlich.“
Zum Bekanntesten Lied der Band, dem geheimnnisvollen ‚Whispers In The Shadow‘, produzierte der Schweizer Regisseur Urs Egger einen hervorragenden Videoclip. In ihm wird die Geschichte der richtigen Vyllies erzählt… aus Liebeskummer verstorbene Frauen, die aus dem Totenreich auftauchen und ihre untreuen Liebhaber heimsuchen. „Man hat ein zweites Leben und stirbt nie. Man muss schauen, dass man wiederaufersteht und dann etwas anderes macht. The Vyllies waren nie suizidal, wir haben nie mit dem Tod geliebäugelt, es geht um die Verwandlung: Nicht in Traurigkeit stecken bleiben, sondern diese in Schönheit verwandeln.“ Das gilt auch für Manues heutige Arbeit als Stimmbildnerin und Hirnforscherin: „Es geht um Kreativität, auch in der Wissenschaft. Manche Wissenschaftler sind abolute Spinner. Mich faszinieren Leute, die unglaubliche Ideen haben und diese umsetzen. Egal was du machst oder fühlst, setz es kreativ um!“

The Vyllies – Sacred Games

Anchantia, Schwarze-News.de (D), 1. Dezember 2009

Es wird Zeit für eine kleine Geschichtsstunde, denn im nachfolgenden möchte ich Euch von The Vyllies erzählen: Das Gründungsjahr wird auf das Jahr 1983 datiert und somit waren die drei Künstlerinnen aus dem französischsprachigen Teil der Schweiz wohl weltweit die erste ‚Heavenly Voices‘ Band, wenn man diesen (gerade in den 90ern) überstrapazierten Begriff verwenden möchte. 1987 erschien nach diversen Vinyl-EPs die zweite LP ‚Sacred Games‘ – ein Album, welches seiner Zeit weit voraus war und, in der damals noch jungen Gothic-Szene, für Aufsehen sorgen sollte. Heute ist dieser Klassiker der Gothic-Musik weitgehend vergessen und für mich erst recht ein Grund an die Vyllies im folgenden Review zu erinnern.
Ich kann mich noch so gut erinnern, als ob es gestern gewesen wäre. Mitte der 90er bin ich durch Sanguis et Cinis, Goethes Erben und natürlich Lacrimosa zur Gothic-Musik gekommen. Das Internet steckte noch in den Kinderschuhen und die neuen Zeitschriften wie ‚Orkus‘ und ‚Sonic Seducer‘ erschienen komplett in schwarz-weiss und hatten nur selten eine CD als Beilage. Die ‚Zillo‘ gab es natürlich schon eine Weile, aber auch dort gehörte eine Heft-CD noch lange nicht zum Standard. Nebenbei bemerkt war die ‚Zillo‘ damals noch eine sehr gute Zeitschrift mit vielen Informationen und sehr umfangreichen sowie abwechslungsreichen Bandvorstellungen. Aber das ist jetzt nicht das Thema. Worauf ich hinaus möchte: um sich einen überblick über die verschiedenen Bands zu machen kam man an diversen Sampler nicht vorbei. Meiner Meinung nach kamen die besten Sampler von den Betreibern der legendären Zwischenfall-Disco in Bochum (ich selbst war in meinem Leben nur drei mal dort): Doppel-CDs mit Songs aus den 80ern auf der einen den 90ern auf der anderen Scheibe. Und auf einem dieser Sampler wurde ich das erste Mal auf The Vyllies aufmerksam. Das muss, glaube ich, um 1997 gewesen sein. Damals, zehn Jahre nach Veröffentlichung von ‚Sacred Games‘, war das Album aber schon nicht mehr aufzutreiben. Die Gothic-Musik war alles andere als kommerziell und im Gegensatz zu heute waren Gothics wirklich noch eine eingeschworene Aussenseitergruppierung. Schön waren die Zeiten – auch wenn man die wirklich guten Alben nur per Szene-Katalog ordern konnte. Na, auf jeden Fall war das Album lange nicht mehr zu haben und ich entdeckte das Album erst im Jahre 2002 auf einem Flohmarkt. Der Euro wurde gerade in Deutschland eingeführt und ich erstand nun mit 10 Einheiten der neuen Währung das vorliegende Prachtstück der frühen Gothic-Musik.
Und nach dem Ausflug in meine Jugendzeit möchte ich endlich auf die Musik zu sprechen kommen. Legt man die CD in den Player (wer von Euch besitzt überhaupt noch so etwas?) und drückt erwartungsvoll die ‚Play‘-Taste wird man sogleich von treibenden Wave-Rhythmen begrüsst. ‚Now We Fall‘ ist tanzbar und melodisch. Doch schon mit dem nachfolgenden Song (‚Playing In The Sand‘) wird die Stimmung ruhiger, verspielter und düsterer. Die Xylophon-ähnlichen Töne sowie der orchestrale Hintergrund verstärken diese Traumvision, die der Song im Kopfkino des Hörers hervorrufen kann. „Silver Promises“, der dritte Song, ist dagegen fast schon eine kleine Liebeserklärung an Dead Can Dance, wenn auch mit elektronischen Mitteln. Und so abwechslungsreich geht das Album weiter. Mal mystisch, mal treibend und dann wieder tanzbar. Fünfzehn Songs zwischen drei und vier Minuten gibt es insgesamt zu entdecken. Die musikalische Untermalung ist durch und durch elektronisch. Doch gerade diese Wave-Musik der 80er strahlte eine Wärme und Geborgenheit aus und bewies eindrucksvoll, dass man auch mit elektronischen Instrumenten Gefühle beim Hörer erwecken kann. The Vyllies hoben sich aber nicht nur durch den betörenden und hypnotischen Gesang von anderen Acts ab. Die Künstlerinnen umschifften mit der experimentellen Melodieführung jeder erdenklichen Gesetzmässigkeit der damaligen Wave-Musik. Die älteren Semester unter Euch werden mit meinen Ausführungen sicher etwas anfangen können. Den Jüngeren unter Euch wird dies wohl schon schwerer fallen. Aber das liegt ganz in der Natur der Sache. Musik kann man nicht in Worte fassen, Musik muss man hören (Hörbeispiel findet Ihr auf YouTube). Natürlich dürfen auf der LP auch die zwei Klassiker von THE VYLLIES nicht fehlen: ‚Whispers In The Shadow‘ sowie ‚Ahia‘. Beide Songs wurden bis in die 90er hinein sehr gern für die verschiedenen Sampler benutzt, auch wenn sich die Vyllies selbst schon 1988 getrennt haben. Diese beiden Songs waren damals absolute Tanzflächenkracher, wie man heutzutage sagen würde. Ausserdem ebneten die Videoclips den Weg dazu, dass die Tonträger auch in Grossbritannien, Amerika und in vielen anderen Ländern veröffentlicht wurden. Ein Wort sei vielleicht noch zur Produktion gesagt: gegenüber zu den Vorgänger-EPs ist diese nämlich phänomenal und glasklar. Auch heute brauchen sich die Songs nicht zu verstecken.
The Vyllies gehören neben Echo & The Bunnymen, Lords Of The New Church, Paul Roland und Skeletal Family zu meinen Lieblingsbands was Gothic-Musik der 80er betrifft. Das soll nicht die ganzen anderen Bands herabsetzen, denn im Grossen und Ganzen war die Gothic-Musik der 80er und frühen 90er um ein vielfaches kreativer und abwechslungsreicher als heute. Das Album stellt im meiner Musiksammlung fast schon ein Heiligtum dar und bei geschätzten 900 original gekauften CDs in meinen fünf Regalen heisst das schon was.

THE VYLLIES

PEPE, EB Musikmagazin (D), Juli/August 1987

Die Vorgruppe der diesjährigen ANNE CLARK Tour waren die Schweizer THJE VYLLIES, die hier bei uns noch ziemlich unbekannt sind. EBM wollte wissen, was sich hinter den VYLLIES verbirgt und machte ein Interview nach dem Konzert in der Bonner Biskuithalle.
Was haben THE VYLLIES mit der Schweiz zu tun? Sie kommen aus der Schweiz, dem Land der Nummernkonten, der Neutralität, von YELLO. Doch die YOUNG GODS, CHIN CHIN und BLUE CHINA kommen auch aus den Bergen, das tut ihrer Qualität keinen Abbruch. THE VYLLIES, haben die Chance wahrgenommen, um als Vorgruppe von ANNE CLARK ihr Debut ausserhalb der Schweiz zu geben. Warum hat keiner eine Zugabe gefordert?
Die VILLIES: Ursula Nun (Keyboards), Manü Moan ( Vocals ), Ilona Prism (Vocals, Bass) hoffen nun auf erhöhte Popularität, da es sehr schwer ist, in der Schweiz aus der Schweiz herauszukommen, es fehlt die Infrastruktur. Mit Voco Fauxpas scheinen sie nun ihren Meister gefunden zu haben. Es stand auch R. Mosimann zur Diskussion. Der Live-Auftritt der VYLLIES dauerte nur eine halbe Stunde, die Soundqualität war schlecht, da die gesamte Anlage schon auf ANNE CLARK eingestellt war. Die VYLLIES legen bei ihren Auftritten auch auf visuelle Aspekte grossen Wert, sie versuchen Stimmung zu machen. Ein Eindruck bleibt erhalten.
Manü Moan: Wir haben nur eine halbe Stunde Zelt. In dieser halben Stunde versuchen wir, einen Querschnitt zu zeigen, und weil wir nur so kurze Zeit haben, ist jedes Stück sehr verschieden, die Unterschiede sind extrem. ‚Bad Trip‘ ist ein gutes Beispiel, wie die VYLLIES versuchen, das Akustische mit dem Visuellen zu verbinden.
Ilona Prlsm: Wir sprechen in unserer Musik viel mit Symbolen, mit Metaphorik. Dadurch erscheint unsere Musik geheimnisvoll. Das ist ein Teil unseres Images. Aber wir sind nicht nur dunkel, wir lachen am Ende des Konzertes.
THE VYLLIES haben bei ihrer Tour mit ANNE CLARK mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Oftmals wissen die Konzertbesucher nicht, dass THE VYLLIES das Vorprogramm zu ANNE CLARK bestreiten, die Anlage ist nur auf ANNE CLARK eingestellt, sie haben nur eine
halbe Stunde Zeit für ihren Auftritt.
Ilona Priem: Dass niemand Zugaben gefordert hat, auch bei den Konzerten vorher, lag wohl daran, dass niemand unsere Stücke kennt. Das wird ganz anders, wenn die Leute unsere Stücke kennen, die Stimmung kennen. Du hast dann einen Schauder, weil das, was du nächtelang gehört hast, erscheint dann vor deinen Augen. Dann schreist du auch, du kannst dann nur schreien.
Das Problem war nur, dass die Leute für ANNE CLARK gekommen sind, nur wir zwei nicht. Tja. Die Schweizer Musik-Szene, man kann in der Schweiz Musik machen und arbeiten, aber es gibt keine vergleichbare Musikinfrastruktur wie in England. Musik bleibt in der Schweiz Subkultur. Musik ist in der Schweiz kein Beruf, es ist Berufung, laut VYLLIES.
EBM: Nicht nur. dass Ihr eine CD herausgebracht habt, von euch existiert auch ein Musikvideo.
Ilona Prism: Das war ein Zufall, vom deutsch-schweizer Fernsehen war ein Promotion-Wettbewerb ausgeschrieben für Regisseure, es wurde ein Budget gestellt, und wir wurden unter vielen Gruppen ausgewählt.
Die VYLLIES waren nun schon seit knapp zwei Wochen mit ANNE CLARK, die sie übrigens zu der Tour eingeladen hat, da sie Gefallen an den VYLLIES fand und sie schon von einer vorherigen Tour kannte, unterwegs. Dabei haben die VYLLIES viele verschiedene Erfahrungen gemacht, meist gute. Jedoch machte ihnen die Distanz des Publikums zur Bühne etwas zu schaffen, aber sie fanden den Abend in Bonn gelungen.
EBM: Wie seid Ihr eigentlich auf die Idee gekommen, Musik zu machen?
Ilona: Also. Ursula und ich haben am Konservatorium Musik studiert, und wir haben gedacht, dass Musik sich als Ausdrucksmöglichkeit eignet. Wir haben drei verschiedene Persönlichkeiten, und am Anfang waren wir von THE CURE und SIOIUXSIE AND THE BANSHEES beeinflusst.
Manü: Das Konzert, das mich an stärksten beeindruckt hat, war von DIAMANDA GALAS. Doch auf Platte ist GALAS nicht gut. Die Frau nimmt Energien her und schmeisst sie dann raus wie ein Messer. Die musst du live erleben.
Ilona: Wir sind aber nicht satanisch wie GALAS, schwarze Messen und so. Wir sind positiver als GALAS, nicht so dunkel. Unser Spektrum ist viel heller. Wir sind insoweit Hexen als wir unsere Emotionen äussern.
Bei den meisten Leuten, so die Gruppe, hinterlassen sie Unsicherheit, weil sie sehr schwer, wenn überhaupt, sich einordnen lassen. Schubladen auf und zu, das stösst bei der Gruppe auf breite Ablehnung, sie plädieren für Phantasie. Aber wie sollen wir euch das klarmachen?

Hexengebräu

Thomas Küng, Schweizer Familie (CH), 26. Februar 1986

Von Hexen ist auch in der Rockmusik oft die Rede, doch keine Gruppe kommt dem Bild so nah wie die Lausannerinnen THE VYLLIES. Das Trio kleidet sich extravagant ja geheimnisvoll, und die Musik der drei Frauen überzeugt.
‚Collagenhaft, meint Ursula Nun zum Fernsehmoderator Dominique Alioth und rudert etwas hilflos mit den Händen in der Luft. Der Musikjournalist hat die beiden ins Studio eingeladenen VYLLIES Ursula Nun und Ilona Prism aufgefordert, ihre eigene Musik zu beschreiben.
Viel konkreter als ‚collagenhaft‘ und ‚vielschichtig‘ oder ‚ineinander verschachtelte Klänge‘ kann Ursula nicht werden. Das ist verständlich. Die Musik der drei Lausannerinnen lässt sich wirklich nur schwer mit anderer Musik vergleichen, obwohl, und dies muss sofort betont werden, der Sound der VYLLIES keineswegs ohrenbetäubender Klangschrott ist oder das, was harmonieverwöhnte Ohren als ‚Lärm‘ bezeichnen würden.
Im Gegenteil: Ursula, Manü und Ilona zeichnen für geheimnisvolle Musik verantwortlich, der oft einfachste Harmonien unterlegt sind, gespielt von Ursula auf ihrem Synthesizer. über diesem Fundament sich häufig wiederholender Kadenzen treiben die Stimmen von Manü und Ilona ihr bedrohlich-einschmeichelndes (Un-)Wesen. Einlullend, düster und plötzlich wieder beschwingt und locker singen die beiden stimmungsvoll wie Hexen beim Brauen ihrer geheimen Süppchen.
Das ist es, was die VYLLIES so interessant macht. Sie verstehen es, Stimmungen entstehen zu lassen, die der Phantasie auf die Sprünge helfen, ihr zugleich keine Grenzen setzen. So geheimnisvoll sich die Musik zeigt, so sagenumwoben ist auch der Name der VYLLIES. ‚Vyllies‘ sind sagenhafte, unruhige Frauengestalten, die nachts ihre untreuen Liebhaber im Schlaf heimsuchen und zu Tode tanzen.
Dies inspirierte den Filmer Urs Egger, im Auftrag des Schweizer Fernsehens mit den VYLLIES den Song ‚Whispers in the Shadow‘ zu verfilmen. Mit einem Budget von etwa 30’000 Franken produzierten Egger und seine Crew vier Minuten Film, die schliesslich auch internationalen Massstäben standhalten können.
«Egger traf sehr genau, was wir ausdrücken wollten», meinten die VYLLIES übereinstimmend nach Beendigung der Dreharbeiten. Und Urs Egger erklärte: «Als ich das Stück zum ersten Mal hörte, tauchten mir im Kopf spontan Bilder auf. Der Song ist eine kleine Geschichte.»
In diesem aufwendigen Video-Clip unterstreichen die jungen Lausannerinnen ihr hauptsächliches Talent, sich zur Musik visuell gut in Szene setzen zu können. überraschenderweise gelingt dies der Gruppe auch an ihren Konzerten. Die wenigen Auftritte lösten bereits ein grosses Echo aus, vor allem jener am letzten Jazzfestival in Montreux.
Aber gerade der Schritt auf die Bretter von Montreux, ein Schritt der schon manchen Ruhm oder Ruin bescherte, ist bei den VYLLIES nicht nur in guter Erinnerung, weil er eine Schwachstelle aufdeckte, die sich bei den drei Frauen fatal auswirken kann: Die VYLLIES sind eigentlich keine vollständige Musikergruppe. So lassen sie sich an Konzerten von vorproduzierten Tonbändern rhythmisch und harmonisch begleiten. Wenn da einer mitten im Konzert den entscheidenden Stecker herauszieht, folgt peinliche Stille und Hektik, um das ‚technische Problem‘ zu lösen. Ein unvorsichtiger Kameramann des Westschweizer Fernsehens stolperte in Montreux über den besagten Stecker, die Zyniker hatten ihren Spass.
Im November haben die VYLLIES nach zwei Mini-LPs ihre erste ganze LP herausgegeben, und ihr Titel ‚Lilith‘ führt wieder ins Reich der Sagen. Eine Uberlieferung im jüdischen Talmud besagt nämlich, dass nicht Eva Adams erste Frau war, sondern Lilith, die Adam bald aus Langeweile den Rücken kehrte. Sie verliess das Paradies, traf in einer finsteren Höhle auf ausgestossene Engel und zeugte mit ihnen ein neues Geschlecht, nämlich zwielichtige, unheilbringende Schattenwesen, Verstossene des Paradieses.
Mit ‚Lilith‘ sind die VYLLIES flügge geworden. Jetzt sind sie auch musikalisch so professionell, wie sie es zuvor vor allem visuell gewesen sind.

Die wunderliche Klangwelt der Vyllies

DER MUSIKMARKT (D), Nr.23 / Dezember 1985

Über die drei jungen Damen, die sich vor einiger Zeit an der Universität in Lausanne trafen, ihr Studium aber zugunsten ihrer musikalischen Ambitionen abbrachen, ist an dieser Stelle schon häufiger berichtet worden. Als THE VYLLIES wollten sie etwas Eigenes bieten. Dies ist ihnen offensichtlich auch gelungen, denn schon ihre erste Mini-LP, die im Dezember 1983 auf mysteriöse Weise in Athen entstand, hat in Insiderkreisen Aufmerksamkeit erregt. Auch die ersten VYLLIES-Konzerte (als Vorgruppe von Gun Club, Minimal Compact und anderen) belegten die Eigenwilligkeit des Trios.
Die im Januar veröffentlichte zweite Mini-LP, ‚Velvet Tales‘, stiess auf noch grösseres Echo. ‚Music Box‘ filmte einen Auftritt im Zürcher Opernhaus mit und strahlte den Titel europaweit aus. In diesem Jahr übernahm das Schweizer Fernsehen die Produktion des Videoclips ‚Whispers In The Shadow‘.
Die Langspielplatte ‚Lilith‘ vereinigt in den zehn Songs bizarre Magie, dezente Erotik, Unheimlichkeiten und auch beschwingte Rhythmen. Mit letzteren ist der Name VYLLIES besonders verbunden, denn so wurden die Gestalten aus dem Ballett ‚Giselle‘ bezeichnet, die nachts aus dem Reich der Toten zurückkehren, um ihre untreuen Liebhaber gnadenlos zu Tode tanzen zu lassen. Die heutigen VYLLIES wollen sich aber mit den ‚Giselle‘-Figuren nicht restlos identifizieren – ihnen gefiel die Geschichte, vor allem aber der Klang des Namens.
Weniger zufällig scheint hingegen der Albumtitel gewählt worden zu sein: ‚Lilith‘ war – nach der Überlieferung des jüdischen Talmuds – die erste Frau auf Erden, die Adam verliess, um mit einem gefallenen Engel ein neues Geschlecht zu zeugen: Lichtscheue und unheilbringende Gestalten aus dem paradiesischen Abseits. Von verborgenen ängsten und Leidenschaften handelt denn auch die LP der drei, die darin zugleich ihre mehrjährige musikalische Erfahrung und persönliche Entwicklung dokumentieren.
Ihre Aufnahmen haben Ursula Nun (Keyboards), Manü Moan (Gesang) und Ilona Prism (Bass, Gesang) – mit Unterstützung von Voco Fauxpas, der schon beim Mini-Vorgänger dabei war – weitgehend selber abgemischt.