mittageisen – anfang

Text für Booklet zum Sampler ′Liebe + Anarchia: Switzerland 1978-1987′, zusammengestellt von Mehmet Aslan, geplante Veröffentlichung Herbst 2020 durch !K7music.

«Zurück in die musikalische Zukunft, welche Ende 1970er Jahre in Städten wie London, Manchester, Sheffield und Berlin beginnt. Einstürzende Neubauten Berlin 1980 Die ′Frontlinie′ des kalten Krieges verläuft mitten durch Berlin. Die Gebäude auf beiden Seiten der Mauer sind, bis auf das Gebiet um den Kudamm sowie Berlin Mitte, in verwittertem Braungrau. Im Westteil der Stadt erhellen Leuchtreklamen die Nacht während im Osten der Grauschleier, nicht zuletzt aufgrund fehlender Geldflüsse der Allierten, dicker ist. Die tristen Fassaden der beiden Systeme bilden, zusammen mit dem politischen Sonderstatus und der geografischen Lage, eine dystopische Kulisse. Der ideale Drehort zu jenem virtuellen Film, in dem ′anfang′ als Soundtrack zur Anfangssequenz mit dem Protagonisten auf dem Weg zu einem Konzert ins SO36 in Kreuzberg ist.

Bruno W, Gründer von mittageisen, besuchte im Jahr 1980 Berlin für einige Wochen. Nicht zuletzt die Impressionen aus dieser Zeit östlich und westlich der Mauer beeinflussen Texte und Musik von mittageisen. Neun der in dieser Zeit entstandenen Songs werden im Herbst 1982 im Sunrise Studio in der Schweiz aufgenommen und Anfang 1983 als LP veröffentlicht.

Der Name ′mittageisen′ basiert auf einer Fotomontage von John Heartfield (1891-1968). Das 1935 entstandene Bild mit dem Original-Titel ′Hurrah, die Butter ist alle′ zeigt eine nationalsozialistisch gesinnte Familie, die an einem Tisch sitzt und diverse Eisengegenstände verzehrt. Der Auslöser dazu war folgender Satz einer Göring-Rede: „Erz hat stets ein Reich stark gemacht, Butter und Schmalz haben höchstens ein Volk fett gemacht.“
Die Heartfield-Collage wurde als Titelblatt für die ′Arbeiter Illustrierten Zeitung′ vom 19. Dezember 1935 verwendet. Sie bildete auch 1979 die Inspiration zur Single ′metal postcard′ von Siouxsie and the Banshees.

mittageisen entwickelte einen originären Musikstil basierend auf einem Analog-Synthesizer (Korg MS-20), gekoppelt mit Drumm-Maschine (Roland CR-78 und TR-808) und Bassverstärker, plus Gitarre und Bassgitarre, gespielt von Daniel S und Markus Sch.
Die 1983 veröffentlichte mittageisen LP wurde ′Platte der Woche′ der auf neue Töne spezialisierten Sendung „Sounds!“ des Schweizer Radios. Daneben wurden mittageisen-Songs vor allem in Radiostationen in Deutschland, Niederland, wie auch Japan gespielt. Nicht zuletzt dieses Airplay erhöhte den Bekanntheitsgrad von mittageisen und die Reputation als eine der ersten deutschsprachigen DarkWave-Bands.

Die Mitglieder wie auch die Musik veränderte sich und im Januar 1985 veröffentlicht mittageisen eine Maxi-Single mit den Songs ′automaten′ und ′neues china′. Der tanzbare Song ′automaten′ wurde wiederum ′Platte der Woche′ bei verschiedenen Radio-Stationen und Musik-Zeitschriften. So fand die Single auch den Weg in die John Peel-Show auf BBC Radio1 und avancierte zum Indie-Disco-Hit in den UK und anderen Länder.

Nach einzelnen Konzerten (u.a. mit Liliput, The Vyllies, Propaganda) und letzten Demo-Aufnahmen löste sich die Formation im Jahr 1986 auf. Einen umfassenden Einblick in das musikalische Werk von mittageisen bietet die Doppel-CD ′mittageisen 1981-1986 remastered′, mit 19 digital remasterten Stücken (inkl. 6 bisher unveröffentlichten) und 24-seitigem Booklet.»