CRAZY: Ech well frei si : Notizen zum Soundtrack ‘Sieben Mulden und eine Leiche’
CRAZY war eine Luzerner Punkband, die ich erstmals 1981 am Allmendfest hörte, weil ich den legendären Abend, als CRAZY mit Hans-A-Plast in der Roten Fabrik spielten, verpasst hatte. Die CRAZY-LP liebte ich heiss, und es war ein steter Quell von Verdruss, dass sie in irgendeiner WG abhanden gekommen war. Aber die gütige Vorhersehung hat dafür gesorgt, dass mital-U sie als CD wieder heraus gegeben hat. Der Text von ‘Ech well frei si’ brachte einiges vom Lebensgefühl, eingefasst in punknotirische Ohohoh-Chörli, auf den Punkt: ‘Oisi Welt isch verschissä, ohohoh, ich verzieh mich ich verreisä ohohoh’.
Genau, Scheisse, ich hau jetzt ab! So einfach war das. Mein zweiter Lieblingssong auf der CD ist der zornige Schwulensong ‘Dany’ mit den Zeilen: ‘Dany isch nid andersch gsi, är isch nu äh Schwulä gsi. Er hät mängem eis vo hindä verpasst, will er alles wiblichi hätt ghasst’.
Ruth Metzlers verpasste Jugend : Sonntags-Zeitung : 28. März 1999
Von Ruth Metzler wollten wir nach ihrer Wahl wissen, was ihre Jugend ausgemacht habe. Dann fragten wir uns selbst: Antwort fanden wir in drei CDs und einem Buch.
Wer um 1960 geboren ist, sieht sich zurzeit mit der eigenen Jugend konfrontiert, die allerorten rezykliert wird. Mit einer Mischung aus Amüsement und Schaudern sieht der Sechzigerjahrgang Klamotten-Marotten wieder auftauchen, denen auch er einst obliegen zu müssen gemeint hatte. Vom Couturier veredelt marschiert billiger Discoschick über die Laufstege, der Look von Grace-Jones hat ein Comeback – und: Cool ist 1978! In Bahnhofsnähe lümmeln plötzlich wieder Punks herum, und behördliche Entschlossenheit demontiert in Zürich die Parkbänke: Penner verpisst euch, niemand vermisst euch!
Den 1964-er ficht das nicht mehr an. Er ist von Lebenserfahrung gegerbt, hat es zu etwas gebracht, hat Kinder oder einen Kleinkredit am Hals, ist gerade Bundesrätin geworden oder gehobene Schreibkraft bei der SonntagsZeitung. Als solche sitzt man mit Metzlers Ruth beim Interview und forscht nach Gemeinsamkeiten, fragt nach Generationstypischem, bohrt nach Jahrgangsspezifischem, nach Identitätsstiftendem. Der Jahrgangsgesponsin und Bundesrätin fällt nur Abba ein. Und dass der Bruder mit AC/DC rumgenervt habe. Die Schreibkraft trollt sich und denkt: Was für eine Jugend Frau Metzler auch immer vertritt, meine ist es nicht.
Meine Jugend ist ‘Willy Ritschard’, wie mir die CD Swiss Kult-Hits diese Woche in Erinnerung gerufen hat. ‘Willy Ritschard’ war 1982 eine oberschräge Ska-Nummer der Zürcher Band Hertz, mit dem Refrain: «Willy Ritschard, Sohn des Ernst und der Anna Ritschard, volksnah, Sozialdemokrat, liebt das Wandern, liebt Gespräche.» Nach dem Furor von Punk brachten Songs wie dieser eine neue Befindlichkeit auf den Punkt: Alles wurde ziemlich ironisch, und im philosophischen Seminar begann man gerade von der Postmoderne zu schwadronieren.
Das ist passé, aber ‘Willy Ritschard’ hält bis heute. Genauso wie ‘Campari Soda’ von der Hertz-Vorgängergruppe Taxi: Sehr entspannt, fast schon Zen, ein wenig Klavier, ein Saxofonsolo (kam immer gut) und der Flugzeugtext: «Ich nimä no en Campari Soda, wiit unter miir liits Wolchemeer, de Ventilator summet liislig, es isch als gäbs mich nümmemeh.» ‘Campari Soda’ war lange vergriffen (Auflage 600 Stück), war oft in DRS3-Connaisseur-Sendungen und ist der Inbegriff des Kulthits.
Das will etwas heissen, denn inzwischen gilt alles als Kult, was im Ruch steht, etwas mehr Seele zu haben als der übliche Kulturschrott. Kultfilm! Kultautor! Und jetzt diese ‘Swiss Kult-Hits’, die der Ethnologe und ‘Urmusig’-Regisseur Cyrill Schläpfer zusammengetragen hat. Die Songs reichen von Mani Matters ‘Hemmige’ bis in die Neunzigerjahre mit Stiller Has’ ‘Moudi’ oder Baby Jails Knaller ‘Tubeltrophy’. Der Hauptharst stammt aber aus den Achtzigerjahren -, als Ruth Metzler sich dem Sport verschrieb, und die Schreibkraft verkifft an Konzerten rumdümpelte.
Im Zürcher Sexkino Walche etwa, wo Stephan Eichers Band den wegweisenden, monotonen und technoiden Neue-Deutsche-Welle-Hit ‘Eisbär’ zum Besten gab und sich dabei der Jugendbewegungsmetaphorik von der «Packeisschweiz» bediente: «Ich möchte ein Eisbär sein; im kalten Polar. Dann müsste ich nicht mehr schrein, alles wär so klar.» 1982 legte der junge, der vorromantische Eicher solo mit dem Feger ‘Toutes les Filles de Limmatquai (Regarder mais pas toucher)’ nach. Das gehört ebenso zu den Perlen heimischen Popschaffens wie die Young Gods mit ‘Did you miss me’, das 1985 schwer und heavy über alternative Tanzflächen hämmerte, gefolgt vom kulturpessimistischen Indie-Disco-Hit ‘automaten’ von mittageisen: «Arbeit, nur für Automaten. Leben in schwierigen Zeiten, Ordnungen lösen sich auf.»
Im Kopfhörer singt ‘Willy Ritschard’, der 64-er schwelgt in Vergangenheit und denkt über die Fährnisse des Lebens nach. Hätte jemand 1980 die 16-jährige Luzernerin Ruth an den CRAZY-Gig im Stadtkeller genommen, sie wäre Zeugin geworden, wie die Lokalmatadoren punknotorische «Oh-oh-oh»-Dreiklangchörli und ein aggressives «De Danny isch nid andersch gsi, er isch nur än Schwulä gsi» gesungen hätten. Am nächsten Tag hätte sie in der LNN gelesen: «Krawall im Stadtkeller. Auf der Bühne ging der CRAZY-Sänger mit Kritik an den Getränkepreisen auf Kollisionskurs.» Heute würde Ruth Metzler aufhorchen, wenn DRS3 den rauhen, melodiösen Punk der CRAZY-CD spielt, sie würde sich erinnern, wie stier die Schweiz damals war, als Getränkepreiskritik noch zum Krawall führte. Sie würde feststellen, dass der alte Sound heutigen Punks wie Green Day alleweil das Wasser reichen kann, und sich dann wieder den Akten widmen, weil Bundesrätin sein ja auch ziemlich cool ist.
Ruth Metzler war nicht am CRAZY-Gig und wird wohl nie verstehen, was in den Siebzigern und Achtzigern rauher Sound bedeutete. «Als Selbstfindung, als Trost in trostloser Kunstsinnigkeit, als jakobinische Himmelsleiter, als kleines, von imperialistischen Kulturrömern umgebenes gallisches Dorf bedeutete Rockmusik fast alles», schreibt der Autor Wolfgang Bortlik in «Wurst und Spiele».
Der ungemein witzige, mit Wortspielen und Songzeilen gespickte Roman beschwört die Schweiz der tragischen Jungrebellen auf der Suche nach Sex, Drugs, Rock ’n’ Roll und einer Freundin herauf. Und dort benennt der «Schweizer Hornby» («Facts») abschliessend, was Jugend in den frühen Achtzigern ausmachte: «gute Konzerte, wilde Kunst, seltsame Filme, zusammen Herumsitzen ohne Konsumzwang.»
Bortlik weiss, wovon er schreibt. Er war Spiritus Rector der Aarauer Szene, Herausgeber des Untergrundblattes «Alpenzeiger» und Trommler bei den Bermuda Idiots. Und deren CD «hit recordings 1980-1990» wiederum startet mit dem ungeheuer charmanten Ska «Sörfing hei», das den Zeitzeugen augenblicklich zurückverpflanzt, in eine Zeit, in der selbstgebastelt sehr gut kam, eine Leadsängerin noch besser, und Saxofon spielen überhaupt das Allergrösste war.
Dann ist dem reminiszierenden 64-er etwas blümerant zu Mute. Was ist bloss geblieben? Dies: Die Frisur von Generationsgenossin Metzler, deren Gel-gestählte, rebellisch in die Stirn gezupfte Strähnen doch fadengerade aus den Achtzigerjahren in den Bundesrat hineinragen.
GREAT SWISSPUNK : Juli 2004
Das ist wirklich schön, dass es von CRAZY aus Luzern eine CD mit allen Aufnahmen gibt. Sie waren, neben den vorwiegend aus Zürich stammenden Punkgruppen, eine der geilsten Punkbands der Schweiz. Es wäre wirklich toll, wenn es noch viel mehr solcher re-releases geben würde.
KULT : Januar 2003
Ja, CRAZY ist wirklich KULT und gehört in jede Sammlung. OK – damals war Punk noch anders – aber wenigstens ehrlich. Damals gabs auch noch kein DSR3 und Sounds wurde noch ausgestrahlt auf DRS1 dafür konnte man dort CRAZY und alle anderen Punk Helden hören.
This should never die! : August 2002
Wer dazumal(!) schon laufen konnte & bunte Haare hatte UND CRAZY live erlebt hatte, erhält hiermit eine digitalisierte Gelegenheit die zwei mittlerweise blankgescheuerten Vinylteile zu ersetzen …und CRAZY nach 20 Jahren wieder wie neu hören zu dürfen!
Lasst hören aus alter Zeit : LNN : 20. Januar 1992
Rückblende inklusive Tonspur, zweite Hälfte siebziger bis Anfang achtziger Jahre: Damals liess sich eine Subkultur laut und deutlich vernehmen, ein gesellschaftliches Segment von Widerständigen, die sowohl dem musikalischen Establishment (mit seinen reichen Stars) wie der Gesellschaft an sich den Kampf ansagten. Man zelebrierte die Ästhetik des Hässlichen, die neue Musik war rauh und manchmal roh, das äussere Erscheinungsbild von Aktiven wie Anhängern unverkennbar-unverwechselbar: Struppelfrisur, mit Vorteil farbig (gelb, rot, blau usw.), vernietete Lederjacke, Bomberstiefel, im Idealfall noch eine Ratte auf der Schulter.
Das Phänomen ward Punk geheissen. Seine Blütezeit ist längst vorbei, doch wie heisst es immer wieder so schön: Der Punk ist tot, es lebe der Punk. So am Samstag in der Boa. Titel: ‘10 Jahre CRAZY – Musik – Bilder – Dokumente’. CRAZY, das waren Hiesige mit nationaler bis internationaler Breitenwirkung, mit legendären Zoff-Konzerten und Tonträgern. Und jetzt, da es CRAZY seit zehn Jahren nicht mehr gibt, ist ein Memorial-Tonträger erschienen. In Erinnerungen schwelgen liess im Boa-Foyer eine Ausstellung, bestückt mit jenen Punk-Fanzines, billig kopierten MusikHeftli, mit Band-Stammbäumen und Beispiele aus der bürgerlichen Presse mit alten LNN-Artikeln. Gerechnet hatten die Boa-Veranstalter mit etwa 150 Leuten; gekommen war über das Doppelte davon. Einige wenige zeigten sich immer noch/wieder in Punk-Montur.
Leider liessen sich die Original-CRAZY, von denen einige erschienen waren, nicht zu einem Erinnerungsauftritt veranlassen. In der Bar gabs als Ersatz punkige Töne ab Konserve. Und doch noch ein Konzert: Vor ihrer offiziellen Premiere im ‘Wärchhof’ kommenden Freitag spielten City Drones zum Einstieg eine Eins-zu-eins-Version des CRAZY-Titels ‘Ech well frei si’ aus der historischen LP ‘no chance’ von 1980. Leuchtende Augen, wehmütige Wärme im Herzen oder veritables Pogo-Hopsen waren da mögliche Reaktionen auf die Erinnerungspartikel aus alter Zeit.
WILLKÜRAKT : HH-Fanzine : 1980
Keine Chance für deutsche Gruppen an diese wirklich tolle LP heranzukommen.
Es ist sehr erstaunlich, wie diese selbst produzierte LP abgeht, ohne nach 3 Titeln langweilig zu werden. Warum die Platte bei uns bisher so wenig Aufmerksamkeit erregt hat, ist wohl nur mit der fehlenden Werbung zu erklären. Ich finde diese abwechslungsreiche Losgeh-LP z.B. viel besser als die KFC-LP, die überall unverständlicherweise gepusht wird. Witzigerweise sind die Titel in drei verschiedenen Sprachen gesungen, deutsch, englisch und … schwyzerdütsch.